Der Kiepenkerl im April

Sten Woelm


Die Zeit ist noch gar nicht lange vorbei, als es vielerorts noch gar keine Eisenbahn gab und der Güteraustausch sich noch vornehmlich auf den ländlichen Wegen abspielte. Da zog dann landauf landab der Mann mir der Kiepe auf dem Rücken und besuchte alle Bauernhäuser. Dieser Kiepenkerl war verständlicherweise ein gern gesehener Mann, der ungemein viel Neuigkeiten brachte, außer dem, was er an üblichen Dingen in seiner Kiepe mitschleppte. Doch nicht nur den Landleuten war der Kiepenkerl wichtig, auch in den Städten wußte er sich unentbehrlich zu machen. In Münster hatte man seinerzeit einem von ihnen (oder auch allen) ein Denkmal gesetzt, das leider durch den Krieg zerstört wurde.


Es war nicht verwunderlich, daß solch ein Kiepenkerl nicht selten ein Original darstellte, einen Typus, der in die Geschichte einging, aber meist nur in die, die von Mund zu Mund wandert, aber nie geschrieben wird. Sehr alte Leute im Tecklenburgischen wissen von einem solchen Kiepenkerl zu erzählen.


Hinnerk also war ein solches Original. Kam er von weitem des Weges, liefen ihm die Kinder entgegen und begleiteten ihn. Sie hingen ihm an Rock und Kiepe, so daß es ihm oft beschwerlich wurde und er sie abschütteln mußte. Dann war Hinnerk, der Kiepenkerl, bald im nächsten Haus verschwunden. Dort ging er gleich in die Küche und setzte sich auf die Ofenbank.


Hinnerk verstand sein Geschäft, wußte dabei Schnurren und Witze anzubringen, aber auch hin und wieder der Tochter und dem Sohne des Hauses ein kleines Briefchen zuzustecken. Das verstand Hinnerk ausgezeichnet. Auch wußte er mitunter da zu helfen, wo es einmal nicht so recht klappen wollte, wie zum Beispiel ­ bei Franz und Minna. Franz und Minna hatten sich zuletzt auf dem Send in Münster gesehen. sie wußten wohl, was sie wollten, wußten aber nicht wie. Da mußte also Hinnerk her. Er erhielt von Minna Botenlohn und Brief, und Hinnerk zog damit los. Minnas Mutter, die verwitwete Minnagret, lief dann noch einmal hinter ihm her und gab ihm noch einige Groschen extra, damit er ess auch gut besorge.


Aber es war gerade um den 1. April, und den Hinnerk stach bei dem sonnigen Frühlingswetter auf seinem Weg zu Franz mächtig der Hafer. Er sah sich unterwegs den Zettel an, las die Einladung zu Kaffee und Kuchen, las sonst noch allerhand freundliche Dinge, dann kraulte er sich verschmitzt seinen spitzen Bart. Sogleich schlug er auf seinem Wege einen Haken und landete gegen Abend bei Suupjehann, der seinen Beinamen nicht nur seiner roten Nase verdankte. Suupjehann war an diesem Abend wieder das, was man heutzutage "blau" nennt. Er las den Brief, schlug sich auf die Schenkel und rief: "Wat, dat olle Oas well mi friäggen, dann man tau!"


Suupjehann machte sich am Sonntag, dem 1. April, auf den Weg. Gewohnheitsgemäß stak die Flasche in seinem Roch und die ließ er dann von Freude über das Glück seiner alten Säufertage unterwegs hin und wieder gehörig füllen. Und wer es nicht glauben wollte, der konnte ja den Brief lesen. Tatsächlich, Minnagret wollte Suupjehann freien, na also, dann man tau!


Stockbetrunken stolperte dann der willkommene Freier vor Minnagrets Tür, die dem Lärm bereits entgegeneilte. Der Freier legte sich ihr gleich unfreiwillig zu Füßen. Zwei Burschen stellten ihn dann aber schnell wieder auf die Beine, und dann brachte Suupjehann seinen Willkommensgruß vor: Wie er sich doch freue, und auf seine alten Tage, und daß sie ausgerechnet auf ihn gekommen sei. Und so ging das weiter, bis er dann doch an dem sprachlos versteinerten Antlitz der Bäuerin erschrak und innehielt.


Just aber ging die Tür zur Wohnstube auf, die Minnatochter erschien, und ein lieblicher Kaffeeduft zog dem Säufer unter die Nase. Mit einer einladenden Gebärde forderte er die ganze Gesellschaft auf, ihm zu folgen. Minnagret aber erwachte aus ihrer Benommenheit, hielt den Eindringling fest und stellte ihn zur Rede. Empört zog er den Brief, die junge Minna riß ihm diesen aus den Händen, die Bäuerin warf einen Blick darauf und fiel kurzerhand in Ohnmacht. Und da sie Suupjehann in die Arme fiel, war für die Außenstehenden das Signal zum dreifachen "Hoch" auf das Brautpaar gegeben. Die "Braut" aber kam dabei überraschend schnell wieder auf die Beine, griff sich den Säufer und beförderte ihn flugs ins volle Regenfaß. Dann wünschte sie allen möglichen Teufelssegen auf den Kiepenkerl herab.


Derweilen aber zog Hinnerk, der Kiepenkerl, oftmals vor sich hinlachend, gen Münster und tauschte für dieses Lachen gern die wahrscheinlich verlorene Kundschaft ein.

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