Du im Frühling

Sten Woelm


Du sprangst doch eines Tages auf der Landstraße, irgendwo, aus einem Bus? Und wer kam da noch nach dir, unmittelbar nach dir? Kati, ja es war doch das blonde Kind mit den schönen, großen Augen. Wie leicht sie sprang, so federnd. Das mochte man wohl schauen. Sie ging an deiner Seite und gleich, wie nebensächlich nahm sie deinen Arm, meinte: "Gehn wir also."


Dann lag der Wald um euch, breit und rauschend. Mit weitem Wipfelwiegen. Die Sonne schien. Auf schmalem Wege ließ sie flimmernde Flecke. Lichtschimmer. Eigenwarm schien die Sonne und eure Glieder dehnten sich wohlig im freien Behagen. Manchmal wurde der Weg ganz eng, Sträucher und Äste streichten eure Kleider. Eure Arme fanden sich dabei immer mehr. Du wagtest einmal verwegen einen festen Druck gegen ihre Hüfte. Nein, das wollte sie nicht. Sie sprang vor und du mußtest schön sittsam nachgehen. Dicht nach gingst du. Fast hättest du sie fassen können, so, noch einmal um die Hüfte. Diese schlanke, wiegende Hüfte. Doch das tatest du nicht. Waren deine Gedanken etwa abgelenkt oder hast du gefürchtet sie würde dir davonspringen, so in den Wald hinein. Schön wäre das ja gewesen und auch verlockend. Aber da war etwas anderes, das dich hielt. Du warst wirklich sehr in Gedanken. Spürtest du nicht den Ruch ihrer Haut? Ja doch, und der ging in dich, bis in dein Blut. Du wußtest wieder um deine eigene Jugend. Der Ruch. - Dein Herz sang leise. Keine bestimmte Melodie einfach in den Frühling hinein. Der wiegende Schritt des Mädels war der Takt. Ob sie es wohl ahnte, was du so heimlich, hinterlistig sannst? Nein sie ahnte nichts. Sie war in ihr eigenes Schreiten versunken. Bisweilen hob sie die Schultern und ließ sie wieder fallen, als wollte sie damit etwas abschütteln. Eine Last oder Gedanken. Die Stadt, ja die Stadt, man möchte sie so oft zurücklassen und hier sein. Ausatmen. Hier an nichts andres denken als an die Erde und das eigene ursprüngliche Leben. Nicht daran, wie es sein sollte, nein daran, wie es ist. So im unmittelbaren Dasein. Sich selbst wiederfinden, wenn man sich so viel verliert zwischen den drückenden Schichtsteinmassen, in lärmendem Gassenwirren. "Aber du", sagte Kati, "ich muß jemanden bei mir haben. Mit dem ich gemeinsam erlebe. Es ist ja Unsinn, aber es ist mir immer so. Alleine finde ich keine rechte Freude daran. Eine Freundin, nein, diese jungen Gänse. Einen reichen, wirklich verständigen Menschen, ja mit Seele, mit sonnigem Gemüt. Weißt du, du bist mir dazu der Liebste."


Hattest du etwas geantwortet? Nein, du wolltest weiter schweigen. Du hattest noch mehr Gedanken. Dein Herz sang ja, leise, viele Melodien. "Liebe? Ach die ist selten. Vielmehr Zuneigung. Wie ein Falter eine Zeit lang sich an einer bestimmte Blütenart ergötzt. Aber Liebe muß doch auch da sein. Nur Geduld, du mußt sie fein zu hüten wissen. Ja hüten, wie deine reine Seele. Noch ruht die Liebe tief darin und eines Tages, vielleicht in einer Blauhimmelstunde oder Dunkelsternennacht will sie geweckt sein. Mit leiser Regung, verstehst du? Nicht mit Krach und Poltern oder Blechmusik und süßlichen Tanzweisen wie in der Stadt. Ach, das liegt ja nun alles so weit hinter uns. Hier sind die hohen Kiefern mit buschigen Kronen, Segelwolken darüber. An der Erde die Gräser und Blumen, Strauchwerk durch das der Weg sich endlos bahnt."


Weich war der Boden auf dem ihr gingt, gleichsam federnd wie der Gang von Kati.


Dann wurde der Wald lichter. Sonnenlicht fiel warm und breit auf euch herab. Von irgendwoher kam die Landstraße. Rauh bepflastert zog sie fernenweit durch Wiese und Wald und bisweilen auch durch Acker. Lockte es dich nicht mit ihr zu ziehen, einfach fort, unter Blauhimmel und Segelwolken, im südwindigen Lufthauch? So Seite an Seite mit Kati, bei ihrem wehenden Buntrock und strohlichten Kräuselhaar?


Da sagte sie: "Du, wir gehen wie allein auf der Welt. Hier ist kein Mensch, die Straße wie vor vielen, vielen Jahren als noch Kriegsvolk harnischumschient in fremde Lande zog. So rauh, bestaubt und allein ist diese Straße. Sie lockt und nimmt mit. Da ist kein Ende und kein Anfang. Aber wir wollen doch wieder in den Wald. Du, komm, die Straße, sie zieht uns sonst fort."


Dann blieb die Straße wieder allein. Biegsame Birkenäste strichen euch ins Haar. Ihr mußtet tief gebückt gehen, ja fast schleichen und rechts war undurchsichtiger, dunkler Tannenwald. Frühling überhaucht sein ernstes Gewand. Wie tausend linde, lichtgrüne Küsse.


"Du, wir wollen einen Platz suchen, still und schön, weißt du, moosweich und sonnenwarm. Da wollen wir ruhn, für Stunden bei uns sein. Wir wollen lauschen auf das Leben, auf uns und sinnen, so in den Tag hinein, in den Himmel. Mit den weißen Wolken fernenziehend sinnen. Sagtest du etwas, Kati?"


Nein, Kati sagte nichts, sie nahm nur so gerade deinen Arm und drückte ihn, ein wenig fester als sonst. Weiter war nichts. Oh, sie verstand dich so gut. Nein es war nichts zu sagen. Das war alles gut so. "Was soll denn auch noch, wir suchen eben. Das wird nicht lange sein. Es ist hier ja überall schön und still, ja. Aber es muß ein ganz besonderer Platz sein. Man darf nichts mehr missen dort." Und so gingt ihr weiter, unter jungem Blattgrün, auf einsamem Wege.


Ihr hattet nicht vergessen andere Dinge zu schauen in eurem Suchen. Das wäre ja auch töricht gewesen an so Vielem vorbeizugehen, ohne an ihnen und mit ihnen zu erleben. Einmal saß ganz unvermittelt ein Käfer in Katis Haar. Blink und blank die Flügel. Oh, er fühlte sich ganz wohl darin. Die langen dünnen Beine wühlten sich ordentlich in dem krausen Gewirr. Er strebte emsig nach oben, auf den Scheitel. Manchmal sank er tief in die gelbe Flut ein und seine kleinen Augen lichtblinzelten hinauf ins Helle. Ein Andermal konntet ihr in einem Sonnenfleck, im grünlichtigen Tannenzweig einen Mückenreigen schauen. Hauchfein war das Summen der flügelwindigen Feuchtgrundschlüpfer. Säuselsam ihr Spiellichttanz in der warmen Sonne.


Dann kamt ihr zu hohen laubigen Buchen mit bemoostem Grund. Waldmeister barg darin seine duftströmende Blütenfülle. Und an einem muntern Rinnsal sahen euch Bachlichtnelken in zartem Farbenhauch an.


Dann nahm dich Kati zur Seite. "Du, da setzen wir uns hin. Ich glaube, da ist es schön."


Ihr saß't im weichen Gras. Schmiegsam spielten die dünnen Halme zwischen euren Beinen. Kati wollte plaudern und auch du mochtest so allerlei sagen, ja, gewiß, da waren ja Tannen, jung schlank und gipfelhoch. Oben spielte der Wind. Horch nur, Kati, wie fein es summt da oben. So langsam zieht der Wind über die Wälder. Er will ihren Duft und den Frischhauch ihres feuchten Atems. Kündend will er weiter, immer weiter ziehen. Oft sind da Vögel, die mit ihm wandern, wie jetzt und dann später auch im Herbst. Der Wind gibt ihnen Raum und Weite. Gibt zu ihrem Sang Jungfrühlingszauberduft. "Magst du auch singen?" "Ja, wohl, Volkslieder, unsere, meine Lieder. Du, wir singen, ja? Es ist so recht dazu, hier. Von der Einsamkeit von der braunen und der grünen Heide. Ja, von der Heide."


Und in der Sonne blühten die Blumen. Ihr hattet gut gefunden. Viel Sonne kam da an euren stillen Platz. Junge Birken zitterten unter der glänzenden Wärme. Bebte Kati nicht auch einmal. Ja, einmal, da hattest du sie lange angesehn. Tief und ernst, wie du das immer tust. Und sie hatte die Augen niedergeschlagen. Nein, dein Schauen! "Du, sieh mich nicht so an, so.... höre doch den Wind da oben, in den Tannen, oh der Wind. Du, ja, es ist Frühling nun. Frühling, ich glaube auch in mir. Hier, fühl, mein Herz. Ganz laut. Nein, komm, du mußt mich nicht so ansehn."


Lange war es ganz ruhig zwischen euch. Du wolltest ihr doch etwas sagen. ja, was denn? Liebe? Wolltest du sagen: "Ich hab dich lieb, ganz lieb. Nein so nicht, das ist ja so einfach das sagt jeder, wie eine alte abgegriffene Reklame ist das." Etwas Besonderes wolltest du sagen. Ja, Kati verdient das wohl. Etwas Besonderes, was keiner bisher ihr sagen konnte und auch keiner mehr sagen wird. Aber was, was denn nur. Du kamst sogar in Sorge darum, weil du nun nichts mehr wußtest. Ich hab dich lieb, nein, nein. Hattest du es schon gesagt. Sie schaute dich an, mit so schimmernden Augen. Sie fühlte es. Und darum bebte sie, darum ging so ein eigenes Zucken um ihren Körper. Du brauchst nichts zu sagen, oder doch, man kann doch nicht so einfach.... nur so den Arm um sie legen, um ihren Hals. Aber die Hand, die kleine liebe Hand. Nur ihre Hand. Schauervoll durchrieselte es dich. Ja, du bist jung und Kati auch. Nein, ihr wißt noch nichts voneinander.


"Hier sind wir allein, Kati, und ich will dir sagen, daß ich sehr gerne bei dir bin, hier und so allein mit dir. Immer möchte ich das sein, weißt du, jeden Tag."


Kati saß ganz dicht neben dir, unter deinem Arm. Und du durftest sie fest, ganz fest halten. Sie ließ es, ja sie schmiegte sich an dich. Dann sagte auch sie: "Ach, das ist fein bei dir, du, so jeden Tag, immer. Du bist ja so stark, auch im Leben, sonst.. Du wirst wohl auch mutig sein. Ich mag Feiglinge nicht, kein Mädel wird sie mögen." Ihre Augen sahn dich an dabei und sie waren ernst und lieb, ach so lieb. "Man fühlt sich so geborgen bei dir. Du, wollen wir nicht lieb zueinander sein, ganz lieb? Die Stadt ist weit und die Menschen auch. Du, es glüht so hier, es ist so warm, ob das die Liebe ist? Nein, du, es ist das Glück, daß wir uns nahe sind. Es war nie so mit mir. Du bist gut, bist stark. Du liebst soviel, die Blumen, die Gräser, den Wald, den Wind, den Frühling, da ist soviel Güte bei dir. Vielleicht liebst du auch mich. Ich habe das Gefühl vorhin und auch jetzt wieder. Ach, ja du, komm!"


Dann sahst du nichts mehr, nur zwei Augen, nein, die Lippen. Dann wirklich nichts mehr. Aber du fühltest, fühltest alles. Die Jugend, das Blut und heißen, heißen Atem. Nein, nicht den Wind. Er sang für sich oben, in den Tannen, in der Sonne. Nun sang dein Herz nicht mehr leise, nein überlaut. Sie mußte es hören. Viel Melodien. Endlos, endlos. Sie hörte es. Bis in den Abend, bis zum fernen Glockenverschwingen einer Dorfkirche.

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